Der Gaukler
…
Lärm drang aus dem inneren des Gebäudes. Die Tür ist ausgehängt und lehnt schief an der
Steinmauer.
„Wie aufmerksam, es ist Tag der offenen Tür.“
„Auss… dem… Weeggg ihrr zweiii“lallte ein Knecht, und stolpert die drei Stufen herunter.
Mit seinen Armen wild umher rudernd sucht er vergeblich nach Gleichgewicht. Sein lautes Kichern verstummt als seine Beine nachgeben und er seitlich in einen Stapel Brennholz kippt.
„Ganz schön früh um sich schlafen zu legen“ sage ich kopfschüttelnd, beim betreten der Wirtschaft.
Fröhliches Lautenspiel und eine kräftige Stimme sorgen für eine ausgelassene Stimmung. Es sind weit mehr Leute im Raum als Sitzplätze. Es wird im Takt geklatscht, gelacht und gegrölt. Die Bierhumpen hält man in der Hand und prostete sich zu.
An den Türbalken gelehnt beobachte ich eine Weile.
Es hüllt mich eine Wolke aus Schweiß, Urin und Erbrochenem ein. Nicht jeder hatte rechtzeitig den Weg nach draußen gefunden.
Gefüllt mit groben Holzbänken und Tischen, ist der Raum vom Rauch geschwängert. Die Tische sind voll mit Weinkrügen und Essensresten.
Über der offenen Feuerstelle, in der Mitte des Raumes, hängt ein mächtiger Wasserkessel und ein kleiner Kupferner mit rauchender Fleischsuppe.
Zwei Hunde streiten sich um einen Knochen, kläffen so lange bis es einen Bauern zu viel wird. Mit Schwung tritt er einen der Köter kräftig in die Seite. Winselnd verdrückt sich die Töle in die Ecke und leckt sich.
An einer massiven Holzsäule wetzt ein Schwein seine wunde Flanke. Voller Pein wälzte es sich anschließend im Streu, auf dem trockenen Lehmboden.
Flöhe? Wahrscheinlich!
Mein Aufmerksamkeit richtet sich auf den Sänger und Lautenspieler.
Ja ich kenne diesen Mann! Unsere Begegnung war erst zwei Tage her.
Wollte er nicht nach Prag weiterreisen?
Ich bin daher überrascht ihn so schnell wiederzusehen.
Der Sänger, ein bemerkenswert schöner und stattlicher Mann mit schulterlangen braunen Haaren, verstand seine Sache, ja er wusste die Zuhörer zu fesseln.
Nach einen Kampflied mit schneller Melodie und viel Pathos verlangsamt er sein Spiel. Seine kräftige Stimme dringt bis in den letzten Winkel der Halle. Mit eleganten Schwung fängt er an die Wirtin zu umkreisen.
Sigfried, so der Name des Künstlers, beschreibt die Vorzüge der Frau Wirtin wohlwollend. Er bewundert ihre Schönheit, und lobt ihren Fleiß. Er improvisiert, damit Sie im besten Lichte erscheint. Manche zweideutigen Komplimente entlocken dem Publikum ein lautes Lachen.
Unter tosenden Applaus beendete er seine Vorstellung.
„Bravo! Großartig!“
Auch ich bin begeistert.
Sigfried verbeugte sich, und lässt den Blick durchs Publikum schweifen.
Da erkennt er mich. Er scheint für einen kurzen Augenblick zu überlegen. Gibt sich einen Ruck, nimmt seine Laute wieder fest in die Hand.
„Zugabe, Zugabe.“ wird gerufen.
Gemächlichen Schrittes und die Stimme erhebend kommt er auf mich zu, seine schlanken Finger geschickt über die Saiten gleitend.
Seine Ausdruckskraft ist erstaunlich. Je nachdem wen er darstellt, wechselt er die Haltung.
Mal ist er mit düsterer Miene der bärtige Anführer der Räuberbande, dann wieder der junge tollkühne Heinrich.
Mit rauen Sprechgesang, sein steifes Bein nach sich ziehend, ist er der teuflische Schurke.
Dann Sekunden später pflügt er mit blitzenden Stahl und heller Stimme durch die Reihen seiner zahlreichen Gegner.
Nun ist die Stunde der Abrechnung da,
die Laute wird zum Schwert,
zur Keule,
sie teilt gnadenlos aus.
Drei werden durchbohrt, zwei erschlagen, aber den Letzten, den lässt er laufen. Als Warnung für alle anderen, …stumm.
Das große Finale, der Kampf,
Mann gegen Mann, eine Hieb und ein Stich.
Ein Raunen geht durch die Menge.
Auf seiner Stirn bildet sich Schweiß, er lässt das Instrument sinken. Mit irren Blick sucht er das Publikum, geht in die Knie. Ein letzter Fluch, dann ist es vollbracht.
Dem Publikum rollt, wie ein leerer Krug, der Kopf entgegen.
Die Strafe Gottes hat den grausamen Anführer gerichtet.
Er wird auf Ewig in der Hölle schmoren.
Die Karawane und die Jungfrauen sind gerettet, und ein neuer Held geboren.
Ich bin verblüfft, ich wollte eigentlich nicht so viel Aufmerksamkeit erregen.
Sigfried reißt die Arme auseinander und drückte mich, das mir die Luft wegbleibt.
„Freund und Retter, lass uns eine Humpen heben.“
Wir drängen durch die Menschenmenge, am Schank vorbei. Ein kleiner Tisch mit drei Schemeln steht etwas abseits vom Trubel.
Währenddessen lässt er seinen schmächtigen Helfer, mit dem Hut herumgehen und klingende Münzen einsammeln.
Kaum sitzen wir, tauchte die Wirtin auf, mit reichlich Fleischsuppe und mit schweren Weinkrügen beladen.
„Das geht aufs Haus. Für euch nur den Guten, mit Honig gesüßten.“
Sie feuchte ihre Lippen an, lacht und zeigt mir ihre Zähne.
Weiß wie eine Kalkwand sind sie, und alle vorhanden,
das ist wirklich eine Seltenheit in diesen Tagen.
Sigfried beugt sich zu mir herüber.
„Und was sagst ihr?“
„Kann es sein das ihr ein klein wenig übertrieben habt?“ frage ich sarkastisch.
„Wieso?“ er gibt sich verwundert „da waren Räuber und ihr hast mich gerettet. Punkt!“
„Nun gut,“ich fange an, schmunzelnd, ein paar Unstimmigkeiten aufzuzählen „die Karawane
bestand aus euren Eselgespann, euch und Guntar, dem dürren Helfer.
Keine Jungfrauen!
Und es waren ganze zwei Halunken die euch im Schlaf überrascht und an einen Baum gefesselt haben. Zwei!“
Ich erzähle weiter.
„Kaum hörten sie mich kommen, nahmen sie Halsüberkopf Reißaus.
Der Fußlahme versuchte sich auf sein Pferd zu schwingen, schaffte es aber nicht in den Sattel. Ohne auf seinen Herren zu warten setzte sich der Gaul in Bewegung. Immer schneller werdend, den Halunken, der mit einem Fuß im Geschirr hin, nachsichziehend, stürmte er den Weg entlang.
Das Gebrüll des sogenannten Anführers, war noch minutenlang in der Ferne zu hören.“
„Ihr seid schreiend und lärmend aus der Finsternis aufgetaucht, als ob eine ganze Horde los wäre. Kein Wunder das sie Fersengeld gegeben haben.“
„Um die Wahrheit zu sagen, ich bin über eine Wurzel gestolpert.“
Jetzt kugelten wir uns beide vor Lachen.
„Nachdem ich euch befreit habe, erzähltet ihr mir, euer Weg führe euch nach Prag. Und jetzt treffe ich euch hier. Was für eine Überraschung!“
„Nun, nachdem wir uns ja so schnell getrennt hatten, fing es zu regnen an. Bald schüttete es wie aus Kübeln. Der Weg durch den Fluss war, wegen den Wassermassen, für unseren Karren unpassierbar geworden. Da musste ich die Reisepläne ändern.
Also sind wir hierher abgebogen.“
Er deutet auf die Satteltasche die ich bei mir trage. „Und was macht ihr damit?“
Tja, eine gute Frage.
Bei der artistischen Einlage hatte sich die Tasche, nicht ganz freiwillig, von den Räubern getrennt.
„Dem Inhalt nach zu Urteilen gehörte sie jemanden auf Burg Pirkstein,
bevor sie mit dem Halunkenpack auf Reise ging.
Mal sehen ob ich den richtigen Besitzer morgen finde.“
Eine Geschichte jagte die andere. Der Wein lockert unsere Zungen. Im Laufe des fröhlichen Abends wechseln wir zum vertrauterem Du.
Guntar war inzwischen gegangen um nach dem Esel zu sehen.
Ich blickte mich um und bemerkte das wir immer noch im Mittelpunkt der Gespräche standen.
„Da hast du ja was schönes angerichtet,“ klagte ich „du, mit deinem Märchen.“
„Ach was Märchen, das war nur eine freie Interpretation der Ereignisse. Und nur zu deinem Besten!“
Jetzt kam er erst richtig in Fahrt.
„Was wären Helden ohne unsere Lieder? Erst wir lassen sie im Glanz erstrahlen. Ohne uns wäre sie nichts,
nur eine blasse Erinnerung.
Wir, die Barden, sind das Gedächtnis des Volkes,
wir bewahren Ereignisse, Taten und Geschichten für die Ewigkeit.
Unser Spiel dient der Unterhaltung, gewiss, doch sind wir unentbehrlich.“
Er senkt jetzt die Stimme,
„Für die Mächtigen!
Wir sind ihre Augen und Ohren.
Ihr Sprachrohr.
Erst durch uns werden Gerüchte zu Tatsachen.
Wir erzählen ihre kleinen Geheimnisse und verbergen doch die Großen.“
Er wirkt jetzt sehr nachdenklich.
„Wenn man dich so hört, könnte man meinen du seist als Spion tätig.“
Sigfried lacht laut auf. Er beugt sich vor und fährt leise fort „ Man kann mit den richtigen Neuigkeiten durchaus gute Münzen machen, und sie haben mir auch schon so manche Türe geöffnet, aber"
er schaut mir tief in die Augen,
„man sollte wissen wo die Grenze liegt.“
„Du bist gebildet und stammst aus einen vornehmen Haus. Wieso reist du von Ort zu Ort, schauspielerst und bietest Kunst feil?“
„Als vierter Sohn hast du nicht viele Möglichkeiten; im Kloster als Mönch wollte ich nicht enden. Stundenlang Texte und Bibelschriften bei flackernden Kerzenschein kopieren. Verse und Psalmen zitieren. Beten und Fasten.
Hinter dicken Mauern auf die Erlösung hoffen?
Nein, dann lieber in die Welt hinaus!
Es gibt mehr Freuden als nur Gotteslohn.“
Er hebt den Becher und stößt mit einen verschmitzten Lächeln an.
Sein Blick suchte die Wirtin.
„Sie wird dich heute Nacht warm und bei Laune halten.
Das ist einer der Vorteile wenn man eine Berühmtheit ist.
Morgen Abend werde ich auf Pirkstein eine Vorstellung geben.
Du hast gesagt das du auch dort bist.
Dort kann ich mich erkenntlich zeigen. Ich weiß was ich dir zu verdanken habe.“ sagte er nun mit ernster Mine.
Er erhebt sich „Im Pferdestall wartet noch eine Verabredung auf mich.“
er lächelt wieder und zwinkert mir schelmisch zu.
.
.
Epilog
Der Morgen war noch grau und farblos.
Ich machte mich auf den Weg zur Burg Pirkstein.
Langsam den Pfad folgend pfiff ich ein fröhliches Lied.
Aus dem inneren des Pferdestalles tritt der Gaukler heraus.
An seiner Seite eine bärtige Gestalt mit ehemals steifen Bein.
Der Gaukler lacht leise als er auf das Bein zeigt:
„Der Trick mit der Holzschiene hat ja prächtig geklappt.“
„Ja, jetzt noch eine Rasur und er wird mich nicht wiedererkennen.
Aber warum so umständlich?“ fragt der andere zweifelnd.
Das Grinsen des Barden wurde breiter.
„ Man muss alle Figuren in Stellung bringen.
Nur wenn sie auf dem richtigen Platz, zur rechten Zeit sind,
können sie ihre Aufgabe erfüllen.
Diese hier,“
er deutet mit der Hand in Richtung der Burg
„ wird mir noch viel Freude bereiten.“